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Ist Widerstand Bürgerpflicht?

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Hartz V und der Artikel 20 Abs. 4 des Grundgesetzes

Von Jens Holger Matzkeit

Am Freitag, den 25. Februar 2011, wurde nach langem Ringen die vom Verfassungsgericht ein Jahr zuvor geforderte Anpassung der Sozialgesetzgebung beschlossen und hat bei vielen Leuten einen bitteren Geschmack im Mund hinterlassen. Neben den Betroffenen, kritischen Medien, wie zB. den NachDenkSeiten, und Politik- wie anderen Geisteswissenschaftlern, allen voran Prof. Dr. Christoph Butterwegge von der Universität Köln, haben selbst an der Verabschiedung beteiligte Politiker ihre Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neu aufgesetzten Gesetzgebung bekundet. Sie alle sind der Meinung, daß dem Verfassungsgerichtsurteil gar nicht, beziehungsweise nur ungenügend entsprochen wurde. Eine erneute Überprüfung vor dem Verfassungsgericht erscheint ihnen deshalb so sicher wie das Amen in der Kirche. Auch ich bin dieser Meinung. Mehr noch bin ich mir sicher, daß wir es hier mit einem bisher einmaligem Präzedenzfall in der bundesrepublikanischen Geschichte zu tun haben: Einem bewussten, gegen jedes bessere Wissen durchgeführten Verfassungsbruch unter in Kauf genommener Auflösung von Teilen unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. In Konsequenz bedeutet dies auch, daß ein wesentlicher Aspekt des Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes damit bereits erfüllt wurde.

Würde man mir die Frage stellen, ob dies jetzt heißt, daß wir Bundestag und -rat stürmen und die Politiker gewaltsam absetzen sollten, wäre meine Antwort ein klares Nein. Der eine Aspekt mag zwar erfüllt sein, doch bis jetzt ist noch nicht klar, ob die demokratischen Mittel nicht mehr ausreichen, um der Auflösung noch entgegenzuwirken. Fragt man mich hingegen, was das nun für den Bürger bedeutet, fällt die Antwort deutlicher aus: Vor dem Gesetzesbeschluß bestand ein Handlungsbedarf. Jetzt ist es Zeit zum Handeln. Es ist unsere freiheitlich demokratische Bürgerpflicht! Und durch seine bewusste Entscheidung, dem Urteil nicht zu entsprechen, hat der Gesetzgeber uns diesmal ausnahmsweise in die starke Position versetzt.

Doch wie kann dieses Handeln aussehen? Wesentlich ist es, denjenigen, welche die neue Gesetzgebung umsetzen sollen, klar zu machen, welche Verantwortung jetzt auf ihren Schultern liegt, denn sie sind nun, ob wir es wollen oder nicht, die erste Verteidigungslinie im Kampf gegen diesen Verfassungsbruch. Dies bedeutet zuallererst, daß den Mitarbeitern der Jobcenter deutlich klar gemacht wird, daß sie sich mit der Durchsetzung der Gesetzgebung direkt und unmittelbar der Mittäterschaft am Verfassungsbruch strafbar machen. Das Verfassungsurteil vom Februar 2010 hat eindeutig immer noch Vorrang, auch vor der neuen Gesetzgebung. Und wo die neuen Sozialgesetze immer noch dem Urteil widersprechen, ist es ihre Verantwortung, sich an das Urteil zu halten und die entsprechenden Aspekte der Gesetzgebung nicht umzusetzen. Und diese Verantwortung muss ihnen auch klar sein. Nur wenn ihnen diese Verantwortung klar ist, können sie sich nicht mehr hinter dem “bloßen Ausführen von Anweisungen” verstecken, sondern müssen ebenso klar Position beziehen. Im Kern müssen sie die Entscheidung zwischen Kadavergehorsam und der Aufrechterhaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung treffen. Weitergehende Pflicht ist es, sie nicht nur zu dieser Entscheidung zu befähigen, sondern sie auch zu dieser Entscheidung zu zwingen, also die Verantwortung, die die Mitarbeiter der Jobcenter jetzt tragen, auch (und beständig) von ihnen einzufordern.

Dies gilt mindestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Verfassungsgericht selbst die Chance hat, ein Urteil zu der durch den Gesetzgeber jetzt verabschiedeten Sozialgesetzgebung zu fällen und somit zu entscheiden, ob der Gesetzgeber noch eine weitere Chance erhält, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, oder ob härtere Konsequenzen zu treffen sind. Frühestens zu diesem Zeitpunkt kann dann auch geklärt werden, ob der Art.20 Abs.4 GG voll erfüllt ist und jedem Bürger somit das Recht zum Widerstand gewährt, wodurch uns zur Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung dann noch ganz andere Mittel offen stehen. Wenn wir jedoch nicht jetzt unserer Pflicht zum Handeln nachkommen, schwächen wir damit nur die Position des Verfassungsgerichtes und tragen Anteil und Mitschuld daran, daß am Ende “andere Abhilfe nicht möglich ist” und sich somit der Artikel des Grundgesetzes voll erfüllt. Der Gesetzgeber hat uns, wenn auch unbeabsichtigt, unsere Macht zurückgegeben. Und diese haben wir jetzt verantwortungsvoll zu nutzen.

[jhm]

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